Sehr geehrter Herr V.,
vielen Dank für Ihre umfangreiche Mail vom 19.02.2013. Zu Ihren Ausführungen möchte ich ein paar Anmerkungen machen, da sie den Eindruck vermitteln, dass Sie sehr einseitig über das Thema Rente informiert sind.
Ich gehe davon aus, dass Sie selbst selbstverständlich andere, sehr viel bessere Regeln für Ihre Altersversorgung in Anspruch nehmen, es sei Ihnen vergönnt. Dass Deutschland das einzige Land in Europa ist, in dem nicht alle Bürger in der gesetzlichen RV pflichtversichert sind, sei hier am Rande vermerkt.
Was mich aber gewaltig stört, ist die Tatsache, mit welcher Selbstverständlichkeit Politiker aller Couleur für die unterschiedlichen Altersversorgungssysteme auch unterschiedliche Rechtsnormen zur Anwendung bringen. Wie ich Ihren Ausführungen entnehme, haben auch Sie als junger Politiker bereits verinnerlicht, dass hier für Arbeitnehmer und Rentner (rund 80 Prozent der Bevölkerung) elementare Grund- und Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden, wie z.B. der Gleichheitssatz, das Rechtsstaatsprinzip und der Eigentumsschutz. Das erschreckt mich, weil Sie damit anscheinend nicht nur das Zwei-Klassensystem, sondern auch das Zwei-Klassenrecht und damit eine Zwei-Klassengesellschaft gut heißen. Wir haben in Deutschland die groteske Situation, dass diejenigen, die den Wohlstand erarbeiten bzw. erarbeitet haben, im Alter mit Almosen abgespeist werden, diejenigen aber, die den Wohlstand verwalten und verteilen, sich kraft Amtes auch im Alter großzügig bedienen.
Sie schreiben: „Es ist weder meine Absicht noch die der FDP-Bundestagsfraktion in die gesetzliche Rentenversicherung einzugreifen. . . . . Unser Rentensystem ist umlagefinanziert, die aus einer alternden Gesellschaft resultierenden Konsequenzen lassen sich nicht wegdiskutieren.“
Das Umlageverfahren ist keineswegs gottgegeben. Es war eine CDU/FDP-Regierung, die 1957 den folgenschweren Eingriff in das Rentensystem mitgestaltet hat, die Umstellung vom Kapitaldeckungs- auf das Umlageverfahren, die Konfiszierung der Rücklagen der RV-Träger zugunsten des Bundeshaushalts und die Streichung der Schulden des Bundes bei den Versicherungsträgern. Wie Sie der Bundestagsdrucksache 1659 vom 8.9.1955 (S. 67) entnehmen können, wurde der Bundestag damals mit der Bemerkung ruhig gestellt, dass die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen RV notfalls durch den Einsatz von Haushaltsmitteln des Bundes sicher gestellt wird. Ab 1957 wurden Jahr für Jahr die Beitragsüberschüsse der RV-Träger durch den Bund dadurch abgeschöpft, dass die fälschlicherweise als Zuschuss bezeichneten Zahlungen des Bundes für versicherungsfremde Leistungen entsprechend gekürzt wurden, von ursprünglich etwa 31 Prozent der Rentenausgaben, was nachweislich schon zu wenig war, auf unter 20 Prozent bis 1969.
Vorsichtige Hochrechnungen belegen, dass bis heute rund 700 Milliarden Euro aus der Rentenkasse durch die Politik veruntreut wurden. Warum wohl weigern sich Politik, Justiz und Verwaltung bei den Rentenausgaben für versicherungsfremde Leistungen Transparenz zu schaffen? Lieber spricht man von Zuschüssen (die es nie real gegeben hat) und lässt den Bundesfinanzminister weiter nach Belieben in die Rentenkasse greifen, was zur Zeit ja wieder zu beobachten ist.
In der Bundestagsdrucksache 16/65 vom 10.11.2005 (S. 331) hat die Bundesregierung bestätigt, dass die nicht durch Bundeszuschüsse gedeckten versicherungsfremden Leistungen in Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sich auf 65 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Hier findet also eine gigantische Umverteilung zu Lasten von Arbeitnehmern und Rentnern und zugunsten von Politikern, Beamten und Richtern statt, die sich ja an der Finanzierung dieses Schattenhaushalts nicht beteiligen müssen. Leider trübt dieses Privileg nicht nur die Sichtweise von Politikern in Bezug auf Recht und Unrecht, sondern auch von Verfassungsrichtern.
Von 1957 an bis heute hat die FDP – fast immer als Regierungspartei – den Transfer von Rentenbeiträgen hin zum Bundeshaushalt mit getragen und damit zu den heutigen miserablen Renten der gesetzlichen RV beigetragen. Wie sich vergleichbare Systeme ohne Eingriffe der Politik seit 1957 entwickelt haben, können Sie bei den berufsständischen Versorgungssystemen sehen, die bei vergleichbaren Beiträgen eine um 60 bis 80 Prozent höhere Altersrente zahlen können.
Die FDP hat auch als Regierungspartei die Rentenreform zum 1.1.1978 maßgeblich mit gestaltet, mit der u.a. das Rechtsstaatsprinzip (keine rückwirkenden Eingriffe in nach Recht und Gesetz aufgrund von Beitragszahlungen erworbene Ansprüche) für Arbeitnehmer außer Kraft gesetzt wurde. Diese und folgende „Reformen“ haben dazu geführt, dass die durchschnittliche Rente aus der gesetzlichen RV heute nicht einmal mehr halb so hoch ist wie die durchschnittliche Rente aus der berufsständischen Versorgung und weniger als ein Drittel der durchschnittlichen Beamtenpension beträgt. Die Kopplung der Rentenanpassungen u.a. an die Entwicklung der Sozialhilfe (Hartz IV) lässt diese Schere Jahr für Jahr weiter auseinander gehen. Ihre „Tränen“ für die jüngeren Generationen überzeugen deshalb nicht, diese Entwicklung ist politisch gewollt und trifft schon die heutige Generation von Rentnern in beträchtlichem Ausmaß.
Sie schreiben weiter: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass die Volksparteien Rücklagen aufbauen und unangetastet lassen. Die Ansammlung von Beitragsgeldern in der Rentenversicherung verleitet eher zu Leistungsausweitungen und zur Rücknahme von Reformen.“ Als FDP können Sie sich hier getrost in diese Volksparteien einbeziehen, denn wie Sie wissen müssten, greift hier im Moment der Bundesfinanzminister zu. Was im übrigen von den Versprechen der Volksparteien zum Thema Rente zu halten ist, haben uns bis 1998 Union und FDP und ab 1998 auch SPD und Grüne deutlich zu verstehen gegeben.
Dass Sie als FDP-Abgeordneter der privaten Vorsorge das Wort reden, ist zu erwarten. Nur bis heute hat mir kein Politiker nachvollziehbar erklären können, wie das funktionieren soll, bei vergleichbaren Beiträgen und wesentlich höheren Kosten als die gesetzliche RV. Da muss man die Arbeitnehmer schon für ganz schön blöde halten, wenn man ihnen damit eine bessere Altersversorgung verspricht. Die derzeitige Entwicklung der kapitalgedeckten Lebensversicherung zeigt ja wohl auch dem letzten Optimisten, wie sehr er von der Politik hier hinters Licht geführt wurde.
Sie schreiben weiter: „Eine Reform der Altersversorgung von Abgeordneten wäre dringend geboten. Das scheitert derzeit sicherlich nicht an den jungen Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Die Finanzierungsprobleme der Deutschen Rentenversicherung werden wir indes damit auch nicht lösen können.“
Was hält die jungen Abgeordneten davon ab, gleiches Recht für alle Bürger zu fordern außer der Angst, nicht mehr als Kandidat aufgestellt zu werden? Selbstverständlich würden wir mit der Einbeziehung aller Bürger in die gesetzliche RV deren Finanzierungsprobleme lösen. Allein dadurch, dass alle betroffen wären, hätten wir endlich eine faire Diskussion über dieses Thema und die wahren Hintergründe der derzeitigen Probleme. Denn es wäre ohne die gigantischen Entnahmen des Bundes wahrlich genügend Geld im System, um nicht nur angemessene Pensionen sondern auch angemessene Renten zu zahlen.
Ist Ihnen bekannt, dass sich der Anteil der Renten am BIP seit 1975 praktisch nicht verändert hat, obwohl sich die Zahl der Renten mehr als verdoppelt hat? Auch das zeigt, dass sich das Rentenniveau seitdem in etwa halbiert hat, und die Rentner von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung längst abgekoppelt wurden. Wir haben kein Finanzierungsproblem, wir haben dank unserer Politiker ein Verteilungsproblem.
Gerade die jungen Abgeordneten könnten dazu beitragen, dass wir uns nicht immer weiter zu einer Zwei-Klassengesellschaft entwickeln. Oder wollen Sie wirklich erst Ruhe geben, wenn alle Rentner zu Sozialhilfeempfängern geworden sind? Gerade für die FDP müsste doch der Grundsatz „Gleiches Recht für alle Bürger“ eine nachvollziehbare Haltung sein. Oder habe ich da unter liberal etwas falsch verstanden?
Mit freundlichen Grüßen
Bernd B.
Otto W. Teufel
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