Pliezhausen, 16. Oktober 2018

Mehr als 6,3 Millionen Arbeitnehmer fühlen sich vom Staat um die Früchte ihrer Altersvorsorge betrogen. Da der Rechtsweg steinig und die Kosten für gute Rechtsanwälte zumeist recht hoch sind, haben Betroffene nach einem Ausweg gesucht. Denn für einen einzelnen Betroffenen lohnt sich ein über Jahre hinziehendes Klageverfahren schon aus finanziellen Erwägungen nicht. Die Idee, die geboren wurde heißt „Crowdfunding“, oder auf gut Deutsch: Schwarmfinanzierung. Mehr als 500 Betroffene zahlen seit 2017 in einen gemeinsamen Fond ein und finanzieren daraus Aktionen, Gutachten und Musterklagen.

Rückblende. Im November 2003 beschließen die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der CDU/CSU Union in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, auf Betriebsrenten nicht wie seither nur den halben, sondern ab dem 1. Januar 2004 den vollen Beitragssatz zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erheben. Ein Arbeitnehmer kommt damit nicht mehr nur für seinen eigenen Anteil auf, sondern zusätzlich auch für den des Arbeitgebers. Rückwirkend werden in die verschärfte Beitragspflicht alle Verträge einbezogen, die ab 2004 zur Auszahlung kommen, also auch jene, die von Arbeitnehmern millionenfach vor Jahrzehnten auf einer völlig anderen Rechtsgrundlage abgeschlossen wurden. Vertrauensschutz? Leider Fehlanzeige! Und um möglichst viel Geld in die Kassen der Krankenkassen umzuleiten, werden die bis dahin nicht der Beitragspflicht unterworfenen Kapitalzahlungen aus Lebensversicherungen, finanziert von Arbeitnehmern und angespart über den Betrieb, per Gesetz als Rentenbezug fingiert. Recht ist fortan, was öffentliche Kassen füllt. Das Ergebnis des politischen Raubzugs: Rund 18% der Altersvorsorge von Arbeitnehmern lösen sich in Luft auf. Eine Kapitalzahlung von 50 T€ wird damit zum Beispiel um rund 9 T€ entwertet. Insbesondere Normal- und Geringverdiener zahlen unter dem Strich drauf, denn durch die Umwandlung von Entgeltbestandteilen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze verringern sich die Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung. Soviel Geld, wie der Staat ab 2004 von der betrieblichen Altersvorsorge abzweigt, kann keine Geldanlage mehr erwirtschaften. Durch staatlichen Eingriff wird Altersvorsorge ad absurdum geführt!

Dagegen laufen die Betroffenen schon seit Jahren Sturm, beschweren sich in den Bürgersprechstunden bei ihren Bundestagsabgeordneten, gründen Interessengemeinschaften und einen Verein, organisieren Mahnwachen und Demonstrationen und setzen sich mit Klagen vor den Sozialgerichten zur Wehr. In der Praxis der mehrfachen Verbeitragung ein und desselben Einkommens kann das Bundesverfassungsgericht jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken erkennen - die Politik sieht sich dankbar bestätigt. Lediglich die Bundestagsfraktion der Partei Die LINKE griff das Thema mit zwei parlamentarischen Anträgen auf. Zur Überraschung vieler Experten nahm dann die GroKo Anfang 2018 mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz betriebliche Riesterrenten von der doppelten Beitragspflicht aus. Betriebliche Riesterrenten würden sich unter ökonomischen Gesichtspunkten, so die Begründung des Gesetzes, wegen der Doppelverbeitragung nicht mehr lohnen. Allerdings sorgten vor 2004 nur wenige Arbeitnehmer mit einer betrieblichen Riesterrente fürs Alter vor. Mehr als 6,3 Millionen Sparer setzten vielmehr auf Kapitallebensversicherungen, in der betrieblichen Variante Direktversicherung genannt, oder zahlten ihr Geld in Pensionskassen ein. Diese Sparformen unterliegen weiterhin der Beitragspflicht: Vielfach bereits in der Ansparphase mit dem Arbeitnehmeranteil sowie in der Bezugsphase mit dem Arbeitnehmer- und dem Arbeitgeberanteil. Eine dem Beitragsrecht zu Grunde liegende Systematik ist aufgrund vieler Ausnahmeregelungen damit nicht mehr erkennbar.

In 2017 griff eine Gruppe von Betriebsrentnern, die den Zugriff der Politik auf ihre Altersvorsorge nicht akzeptieren, die Idee des „Crowdfundings“ auf. Finanziert wurde so eine am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Enteignung eingereichte Beschwerde, unterstützt und verfasst von dem Staatsrechtler Prof. Dr. Albrecht Schachtschneider, die ohne Nennung von Gründen nicht angenommen wurde. Nach vielen erfolglosen Klagen einzelner Betroffener, eröffnete das Betriebsrentenstärkungsgesetz Anfang 2018 einen neuen Ansatzpunkt, der Mehrfachverbeitragung von Betriebsrenten juristisch entgegenzutreten. Zur wissenschaftlichen Untermauerung eines vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen am 31. Oktober 2018 in Essen anstehenden Verfahrens (Az.: L 11 KR 843/16) wurde der Sozialrechtler Prof. Dr. Karl-Jürgen Bieback (Univ. Hamburg) im August 2018 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Prof. Dr. Bieback, der am 25.01.2016 und 25.04.2018 zu den öffentlichen Anhörungen des Gesundheitsausschusses zur Doppelverbeitragung von Betriebsrenten als Einzelsachverständiger geladen war, wird dem Kläger in der Gerichtsverhandlung als Rechtsbeistand zur Seite stehen. In einem zweiten Musterfall wurde in der vergangenen Woche eine Revisionsklage vor dem Bundessozialgericht in Kassel eingereicht, die sich ebenfalls gegen die Mehrfachverbeitragung von Betriebsrenten richtet. Diese Klage wird zu gleichen Teilen aus dem Spendenfond und durch einen Kostenzuschuss des Verbands der Betriebsrentner (BRV e.V.) finanziert.

Schon seit Monaten beschäftigen sich Parlament und Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags mit dem aktuellen Antrag „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Betriebsrenten – Doppelverbeitragung abschaffen“ der Fraktion der Partei Die LINKE. Mittwoch vor einer Woche wurde die Beratung zur Verabschiedung einer Beschlussempfehlung für das Parlament auf Bestreben der SPD mit den Stimmen der CDU/CSU Union und gegen das Votum der Oppositionsparteien von der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses genommen. Bereits zum dritten Mal führte die SPD zur Begründung weiterhin bestehenden Beratungsbedarf an. Das Handelsblatt bezeichnete das Vorgehen als „GroKo-Posse“ um die Betriebsrente und sprach von Stoff fürs politische Kabarett. Bahnt sich um das Thema Betriebsrente neuer großkoalitionärer Zoff an, den man auf ein Datum nach der Hessenwahl vertagen wollte? Das Taktieren zahlte sich für die SPD jedenfalls nicht aus, wie das Ergebnis der Landtagswahl in Bayern zeigte. Vielmehr verspielte die SPD auch noch den letzten Rest politischen Vertrauens - die einstige Stammklientel vermag der Partei nicht mehr zu folgen.

Mit der Bitte um Kenntnisnahme wurde das Bieback-Gutachten vor der Ausschusssitzung allen Mitgliedern des Gesundheitsausschusses sowie den Fraktionsspitzen der im Bundestag vertretenen Parteien zur Verfügung gestellt.

Peter Weber
Sprecher der Initiative
Langhagweg 12
72124 Pliezhausen
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