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Neues Deutschland: zum Kabinett über Rente mit 67

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Quelle: Süddeutsche Zeitung  Nr.269, Samstag, den 20. November 2010 , Seite 42

Um Altersversorgung und Wohlstand zu gewährleisten, muss der Staat Jobs auch für Senioren schaffen

Thomas Öchsner macht es sich zu einfach, wenn er schreibt, man habe noch 19 Jahre, um sich auf die Rente mit 67 einzustellen. Um eine optimistische Erwerbstätigenquote von 38 Prozent (wie heute bei den 60 bis 65-Jährigen) in der fraglichen Altersgruppe zu erreichen, müsste man zuallererst etwa 700 000 im wesentlichen neue, für Senioren geeignete Arbeitsplätze schaffen. Darüber redet keiner, das ist aber der Knackpunkt. Die gegenwärtige Konjunkturlage, nebst geänderten Gesetzen hat uns die 38 Prozent Erwerbstätigenquote bei den 60 bis 65-Jährigen überhaupt erst beschert, die Situation jetzt dürfte aber kaum dem Durchschnitt im gesamten Konjunkturzyklus entsprechen. Dass wir 2025 2,3 Millionen Menschen zwischen 15 und 65 weniger haben werden (und fünf Millionen Rentner mehr) ist eine weitere Herausforderung für die Wohlstandssicherung. Den Wohlstandsverlust, den das bedeuten könnte, möchte keiner haben. Nur steigende Produktivität und eine Steigerung der Erwerbstätigen-Quote um sechs Punkte können das auffangen.

Die Erwerbstätigenquote aller 15 bis 65 jährigen muss angehoben werden. Schon 1,5 Prozent mehr, dann wäre die Rente mit 67 überflüssig. Fernziel: Wir müssen uns der Erwerbstätigenquote der Schweiz annähern, um keinen Wohlstandsverlust mittelfristig hinnehmen zu müssen. Das würde vier Millionen Arbeitsplätze mehr bedeuten. Woher sollen diese kommen? Sicher nicht per Beschluss, sondern nur aus Innovationen, zwei bis drei Punkten mehr Weltmarktanteil und/ oder einer deutlichen Erhöhung der Konsumquote. Letzteres wird nur dann geschehen, wenn man den jungen Leuten endlich wieder Sicherheit für die Lebensplanung gibt. Also weg mit der Praktika- und Volontärsunkultur, Probezeiten müssen reichen. Und eine sichere Rente, eventuell bescheiden aber eben sicher. 100 000 Geburten seit zehn Jahren weniger - wie deutlich müssen denn die Warnsignale noch werden?

Dr. Johannes Rauter, Germering


Politiker mit blindem Fleck

Wenn die selbstbewussten und ermutigenden Aussagen unserer Regierenden über die Bedarfe und Perspektiven am bundesdeutschen Arbeitsmarkt auf Wahrheit beruhen, dann gibt es anscheinend in diesem Land einen weiteren Arbeitsmarkt. Einen, zu dem weder Headhunter, Firmen, Jobbörsen, die Bundesanstalt für Arbeit und schon gar nicht Privatpersonen Zugang haben, sondern offensichtlich nur Mitglieder oder Sympathisanten unserer vermeintlichen politischen Elite in Berlin. Daher kann ich allen arbeitssuchenden, älteren Arbeitnehmern (ab 50) nur empfehlen, Bewerbungsunterlagen an die Berliner Volksvertreter zu schicken. Nur dort ist offensichtlich der direkte Zugang zum realen Arbeitsmarkt in Deutschland und von dort aus werden ihre Unterlagen sicher auch zu vermeintlichen Bedarfsträgern weitergeleitet.

Martin Boller Petershagen


Beamte werden zu früh in Ruhestand geschickt

Die Ratschläge der Regierungsverantwortlichen aus CDU/FDP an die Unternehmen, mehr Ältere in ihren Betrieben zu belassen, um den Erfahrungswert dieser Klientel mehr zu nutzen, wirken unglaubwürdig, wenn der Staat als Arbeitgeber seine Staatsdiener mit der fixen Altersgrenze von 65 Jahren gegen ihren Willen in die Pension entlässt.

Harald Dupont, Ettringen


Mentale Belastung am Arbeitsplatz

Wenn noch 19 Jahre Zeit sind, dann hilft das nichts, wenn man diese Zeit verschläft. Es sind nämlich schon 14 Jahre verschlafen worden - beim Arbeitsschutz. Das Thema der psychischen Arbeitsbelastung ist eng mit dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit bis 67 verbunden. Dagegen ist der Anteil der körperlichen Schwerarbeiter an allen Arbeitnehmern in Deutschland inzwischen so klein, dass hier Lösungen leicht zu finden und finanzierbar sein sollten. Dabei haben wir auch schon im Bereich des ganzheitlichen Arbeitsschutzes längst gute Vorschriften. Mit ihnen lässt sich die 'mentale Arbeitsbelastung' so gestalten, dass Arbeitnehmer nicht schon mit 60 Jahren (oder noch früher) ausgebrannt sind. Für diese Belastung gibt es sogar eine Norm: EN ISO 10075 gilt der 'mental workload', woraus dann in der deutschen Übersetzung leider 'psychische Belastung' wurde. Schon mit dieser Begriffsgebung gelang es wohl, eine breitere Thematisierung solch tabubeladenen 'Psychokrams' zu erschweren.

Vielleicht auch darum haben es die Fachleute für psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in den Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichten so schwer, in der Politik und in ihren eigenen Organisationen den Rückhalt und die Ressourcen zu finden, die sie zur Durchsetzung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes benötigten. Die Gesetze gibt es, an ihrer Durchsetzung hapert es. Die Politiker wollen Unternehmen mit diesem Thema nicht behelligen und verlangen entsprechende Zurückhaltung von den Aufsichtsbehörden. Der harte globale Wettbewerb wird auch hier bemüht, um den 'flexiblen' Umgang mit Schutzvorschriften entschuldigen.

Götz Kluge Eching